Freundschaften am Arbeitsplatz können ein komplexes und manchmal auch heikles Spielfeld sein. Nicht wenige Menschen so weit, Beruf und Freundschaft klar zu trennen, um emotionale Verstrickungen, Rollenkonflikte und verschwimmende Grenzen zu meiden – was völlig nachvollziehbar und legitim ist.
Gleichzeitig ist es ein Fakt, dass wir einen enorm großen Teil unserer Lebenszeit mit Kolleg:innen verbringen – oft mehr Zeit als mit Freund:innen außerhalb der Arbeit. Und genau deshalb ist es paradox, dass über Freundschaft im Job so wenig gesprochen wird. Dabei zeigen Studien seit Jahren, dass sie einer der am meisten unterschätzten Hebel für Zufriedenheit, Gesundheit und Leistungsfähigkeit in Organisationen sind.
Mehrere Meta-Studien zeigen, dass Mitarbeitende, die angeben, eine:n „Best Friend at Work“ zu haben, um ein Vielfaches stärker engagiert sind, eine signifikant höhere Produktivität aufweisen und sich stärker mit der Organisation identifizieren – was wiederum in der Regel dazu führt, dass sie länger im Unternehmen bleiben. Teams mit starken interpersonellen Beziehungen schneiden messbar besser ab – in Profitabilität, Kundenzufriedenheit und sogar im Bereich Arbeitssicherheit (z.B. passieren weniger Arbeitsunfälle). Und das ist kein “romantischer” Zufall, sondern messbare Sozialpsychologie.
Soziale Verbindungen als Grundlage unseres Wohlbefindens
Freundschaften im Job wirken wie ein Multivitaminpräparat für Organisationen: ein Mix aus psychologischem Boost, Gesundheitsprophylaxe und Energiespender.
Wer echte soziale Verbindung im Arbeitskontext erlebt, berichtet durchweg von höherem Wohlbefinden, stärkerem Vertrauen und größerer emotionaler Sicherheit. Diese Psychologische Sicherheit – also das Gefühl, offen sprechen zu können, ohne Angst vor negativen Konsequenzen – ist eine Voraussetzung für kreative Risikobereitschaft und Innovation. Freundschaften fördern genau das: Sie schaffen wohlwollende Räume, in denen Ideen ausgesprochen und Fehler zugegeben werden dürfen.
Hinzu kommen gesundheitliche Faktoren: Der Bericht des U.S. Surgeon General aus dem Jahr 2023 machte Schlagzeilen mit der Aussage, dass fehlende soziale Bindung gesundheitlich ähnlich riskant ist wie der Konsum von bis zu 15 Zigaretten am Tag. Menschen mit unzureichender sozialer Verbindung hätten ein um knapp 30 Prozent höheres Risiko für Herzkrankheiten und Schlaganfälle. Arbeit kann hier also buchstäblich heilen – wenn sie soziale Nähe ermöglicht.
Auch auf emotionaler Ebene zeigen die Effekte Wirkung. Eine Studie der Rutgers University belegte, dass Arbeitsfreundschaften psychologische Sicherheit und damit die Bereitschaft zu kreativen Experimenten fördern. Die WHO wiederum weist darauf hin, dass stabile soziale Beziehungen insgesamt die Lebenserwartung verlängern und Resilienz gegenüber Stress erhöhen.
Freundschaften im Job können uns also auf allen Ebenen gesünder und zufriedener machen, wenn innerhalb der Organisation Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Solidarität und psychologische Sicherheit ermöglichen.
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Wenn Freundschaft kippt – die Schattenseiten
So wohltuend Verbundenheit ist: Sie ist kein Allheilmittel. Wie jedes gute Medikament wirkt auch sie nur in der richtigen Dosierung. Zu enge Beziehungen im Job können schnell kippen – und aus sozialem Kapital wird sozialer Sprengstoff.
Enge Freundschaften am Arbeitsplatz bergen mehrere Risiken:
1. Cliquenbildung
Wenn sich Freundeskreise innerhalb von Teams oder Abteilungen zu kleinen „In-Groups“ entwickeln, entsteht ungewollt Exklusion: Wer nicht dazugehört, fühlt sich ausgeschlossen, Informationen fließen selektiv und Entscheidungsprozesse wirken plötzlich intransparent.
Geht die Cliquenbildung so weit, dass die verschiedenen Gruppen gegen- statt miteinander arbeiten, können diese internen Konkurrenzkämpfe schnell negative Effekte auf das Sicherheitsgefühl und die Zufriedenheit der Teams sowie die Produktivität der gesamten Organisation haben. Hier entsteht eine Dynamik von “Wir gegen die anderen” statt “Wir alle gemeinsam für die übergeordnete Mission”.
2. Rollenkonflikte
Kolleg:innen, die gleichzeitig Freund:innen sind, geraten leicht in Loyalitätsdilemmata. Wie trennt man z.B. berufliche Kritik oder unangenehme Entscheidungen von persönlicher Beziehung?
Die Universität Hohenheim warnte in einer Analyse ausdrücklich davor, dass insbesondere enge Freundschaften innerhalb von Führungsteams oder zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden zu Machtasymmetrien führen können – selbst wenn keine böse Absicht dahintersteckt. Demzufolge ist besonders bei Freundschaften, die unterschiedliche Hierarchiestufen überbrücken, besonders viel Achtsamkeit gefordert.
Rollenkonflikte führen schnell zu einer inneren Ambivalenz, die sich in emotionaler Erschöpfung ausprägen kann. Eine Studie der Rutgers University zeigte, dass gerade Menschen mit vielen intensiven Arbeitsfreundschaften häufiger unter „emotional fatigue“ leiden – schlicht, weil sie mehr Beziehungsarbeit leisten.
3. Voreingenommenheit
Wenn Freundschaften Einfluss auf z.B. Beförderungen, Projektzuständigkeiten oder Aufgabenverteilung haben, kann schnell der Vorwurf der “Vetternwirtschaft” laut werden. Das untergräbt Vertrauen – besonders bei jenen, die sich nicht im inneren Zirkel befinden.
Umso wichtiger ist es, objektive Entscheidungskriterien transparent zu machen und als Führungskraft die eigenen Entscheidungen immer wieder kritisch zu hinterfragen: Handle ich aus Sympathie oder freundschaftlichem Pflicht-/Loyalitätsgefühl zu einer bestimmten Person heraus oder auf Basis dessen, was für das gesamte Team oder die Organisation am besten ist?

Wie Arbeitgeber gesunde Freundschaften fördern können
Nun stellt sich die Frage: Wie lässt sich freundschaftliche Nähe fördern, ohne dass sie zur Belastung wird? Wie viel Freundschaft verträgt die Arbeit – und welche Art davon?
Im Folgenden die wichtigsten (wissenschaftlich basierten) How-Tos:
1. Bewusste Gestaltung
Enge freundschaftliche Beziehungen im Unternehmen sollte weder reines Zufallsprodukt noch Tabu sein. Sie entstehen nicht auf Knopfdruck, aber sie lassen sich begünstigen. Und das beginnt schon beim Onboarding: Wer neue Mitarbeitende in Tandems, Buddy- oder Mentoring-Programme oder Peer-Circles einbindet, senkt die Einstiegshürde und stärkt von Beginn an das Zugehörigkeitsgefühl.
2. Kleine freiwillige Formate statt Zwangsveranstaltungen
Wichtig ist auch, soziale Interaktion nicht zu erzwingen. Pflichtveranstaltungen mit feuchtfröhlicher Networking-Absicht wirken schnell kontraproduktiv, weil sie für viele Menschen purer Stress sind. Sinnvoller sind kleine, freiwillige Formate, die sich leicht in den Alltag integrieren lassen: Walk-&-Talks in der Mittagspause, 5-Minuten-Check-ins zu Beginn von Meetings, Fokus-Lunches oder informelle Austausch-Rituale am Wochenstart. Diese wohldosierten, wiederkehrenden Begegnungen fördern nachweislich Verbundenheit, ohne soziale Kapazitäten zu überstrapazieren.
3. Transparenz und Rollenklarheit
Führungskräfte spielen hier eine zentrale Rolle: Sie sollten Transparenz und Rollenklarheit aktiv vorleben – insbesondere, wenn sie selbst freundschaftliche Beziehungen zu Teammitgliedern pflegen. Entscheidungen, Feedback und Verantwortlichkeiten müssen nachvollziehbar bleiben. Nur so lässt sich verhindern, dass Freundschaften als „In-Group-Power“ wahrgenommen werden – denn dies kann zu massiven Gefühlen von Ungerechtigkeit führen. Und das wiederum ist der perfekte Nährboden für Frust, Konflikte und Leistungsverweigerung.
Auch Schulungen in sozialer Kompetenz können helfen. Trainings zu Boundary-Setting, empathischer Kommunikation und Konfliktmanagement schärfen das Bewusstsein für Grenzen, ohne das Bedürfnis nach Nähe zu unterdrücken. Wer weiß, wie man freundlich „Stopp“ sagt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch die Qualität der Beziehung.
Freundschaft im Remote-Zeitalter: Nähe auf Distanz
Paradoxerweise hat die Pandemie nicht etwa die Relevanz von Arbeitsfreundschaften geschwächt, sondern verstärkt. Gallup stellte in einer Studie fest, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Nähe und Engagement im Homeoffice sogar stärker geworden ist. Die Erklärung leuchtet ein: Gerade weil physische Begegnungen in vielen Organisationen seltener geworden sind, wächst das Bedürfnis nach emotionaler Verbindung.
Remote heißt also nicht beziehungsfrei. Unternehmen, die virtuelle Räume bewusst für soziale Interaktion öffnen, können erstaunlich viel Nähe erzeugen. Virtuelle Buddy-Hours, projektübergreifende Duos, Coffee Chats über zufällige Pairing-Tools oder Slack-Kanäle für nicht-arbeitsbezogene Themen schaffen Gelegenheiten, sich kennenzulernen – jenseits des To-do-Listen-Modus.
Führungskräfte sollten diese Räume aktiv fördern, aber nicht instrumentalisieren. Der Punkt ist, Beziehungen möglich zu machen, sie nicht aber nicht wie eine zusätzliche Pflicht zu verordnen. Gerade in hybriden Strukturen können soziale Verbindungen zum Kitt werden, der kulturelle Einheit trotz räumlicher Distanz ermöglicht.
Fazit: Freundschaften als grundlage für herausragende Teamleistung
Ohne lebendige Beziehungskultur innerhalb der Organisation leiden schnell zentrale Produktivitätsfaktoren wie Engagement, Identifikation und Zufriedenheit. Freundschaften im Job sind somit kein “weicher Faktor”, sondern ein harter Erfolgsparameter.
Aber: Wie jedes wirksame Mittel braucht auch Freundschaft eine sinnvolle Dosierung. Zu viel Nähe kann Grenzen zwischen unterschiedlichen Rollen verwischen, zu wenig führt zu einem Gefühl von Isolation. Die Kunst für Arbeitgeber besteht darin, einen Rahmen zu schaffen, in dem soziale Verbindung auf natürliche Weise wachsen darf, ohne zu vereinnahmen.
Die Zukunft der Arbeit ist nicht nur digital, agil und KI-getrieben. Sie ist auch zutiefst menschlich. Und manchmal beginnt sie mit einem simplen „Wie geht’s dir eigentlich wirklich?“
Quellen:
- Centers for Disease Control and Prevention, NIOSH Science Blog. (2023, 20. Nov.). Social Connection and Worker Wellbeing. NIOSH Science Blog. (hier abrufbar)
- Chen, Y.-C., Wang, Y.-H., & Chu, H.-C. (2024). Meta-analytic structural equation modeling for exploring workplace friendship, well-being, and organizational commitment. Work, 79(3), 1039–1053. https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.3233/WOR-230482
- Methot, J. R., Lepine, J. A., Podsakoff, N. P., & Christian, J. S. (2016). Are workplace friendships a mixed blessing? Exploring tradeoffs of multiplex relationships and their associations with job performance. Personnel Psychology, 69(2), 311–355. https://doi.org/10.1111/peps.12109
- Ulrike Fasbender, Anne Burmeister, Mo Wang (2023). Managing the risks and side effects of workplace friendships: The moderating role of workplace friendship self-efficacy. Journal of Vocational Behavior, Volume 143, 2023, 103875. https://doi.org/10.1016/j.jvb.2023.103875
- United States Public Health Service, Office of the Surgeon General. (2023, Mai). Our epidemic of loneliness and isolation: The U.S. Surgeon General’s advisory on the healing effects of social connection and community. Washington (DC): U.S. Department of Health and Human Services. (hier abrufbar)
- Patel, A., Plowman, S., & Nelson, B. (2022, 16. August). The increasing importance of a best friend at work. Gallup. (hier abrufbar)