Die Zukunft der Energieversorgung ist dezentral: Mit dem Startup »EINHUNDERT Energie« beziehen Mieter*innen ihren eigenen Strom vom Dach

Ökostrom ist schon gut, aber es geht noch besser: Mieterstrom selbst auf dem eigenen Dach erzeugen! Aber das Kölner Startup »EINHUNDERT Energie« installiert nicht nur Photovoltaik-Anlagen, sondern macht mit einer App den eigenen Stromverbrauch in Echtzeit transparent. Und was ist, wenn die Sonne mal nicht scheint? Dann gibt es natürlich Ökostrom aus dem Netz. Mehr über die Vorteile einer dezentralen Stromversorgung im Interview mit Markus Reinhold, Mitgründer und CPO bei »EINHUNDERT Energie«.
Foto: © EINHUNDERT Energie GmbH
von Charlotte Clarke, 23. Oktober 2019 um 07:09

Mit eurem Startup EINHUNDERT Energie wollt ihr mit Hilfe digitaler Technologien die Energiewende vorantreiben. Wie genau funktioniert euer Konzept?

Markus Reinhold: Wir installieren als lizensierter Energieversorger deutschlandweit Photovoltaikanlagen auf Mehrparteiengebäuden und liefern den günstigen Solarstrom vom Dach an die Mieter*innen vor Ort. Dabei arbeiten wir prinzipiell mit digitaler Messtechnik, die es uns ermöglicht, den Stromverbrauch der einzelnen Mieter*innen in einer App live zu visualisieren und monatlich verbrauchsgenau abzurechnen. Die Dachflächen pachten wir entweder von den Vermieter*innen und installieren auf eigene Kosten die Anlage und Zählertechnik oder die Vermieter*innen möchten sich eine attraktive Kapitalrendite sichern und investieren selbst. Unser digitales Vorgehen schon bei der Gebäudeanalyse und Anlagenplanung bis hin zur Abrechnung erlaubt uns die schnelle und nahtlose Integration weiterer Energieanlagen wie Wärmepumpen sowie die Abrechnung weiterer Energieverbräuche wie Wärme und Wasser.

Welche Vorteile haben Eigentümer*innen und Mieter*innen durch die Nutzung von Mieterstrom?

Markus: Vermieter*innen stehen unter einem immensen Druck aus Energieeffizienzanforderungen und Vorgaben über Vorgaben - mit Mieterstrom begegnen sie diesen effektiv, werten ihre Immobilie auf und sichern sich eine weitere Einnahme durch die über mindestens 20 Jahre gesicherte Dachpacht. Mieter*innen genießen bei diesem staatlich geförderten Produkt einen mindestens 10% günstigeren Stromtarif als der des örtlichen Grundversorgers und beziehen 100% Ökostrom. Bei digitaler Verbrauchsvisualisierung und monatlicher Abrechnung kommt hinzu, dass Verbrauch und Kosten endlich unter Kontrolle sind und garantiert nie wieder nachgezahlt wird.

Was genau zeigt eure App an? Kann man damit z.B. auch erkennen, welche Haushaltsgeräte besonders viel Strom fressen?

Markus: Mit unserer App haben unsere Kund*innen ihren Verbrauch, ihre Kosten und sogar die Solarquote live im Blick. Solarquote bedeutet, wie hoch der Solarstrom-Anteil an meinem verbrauchten Strom ist. Hier visualisieren wir auch in Form von Bäumen und eingesparten Flugkilometern die Menge an eingespartem CO2. Unsere Kund*innen können außerdem die monatlichen Rechnungen einsehen und downloaden. Aktuell arbeiten wir an zahlreichen weiteren Features, insbesondere für die Immobilienverwalter*innen. Dafür werden wir durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert.

Was passiert, wenn durch die Solaranlage auf dem eigenen Dach mehr Strom als benötigt oder zu einem anderen Zeitpunkt zu wenig Strom produziert wird? Gibt es Möglichkeiten zur Speicherung überschüssiger Energie?

Markus: Auch, wenn hier nur ein Teil des Stroms vom Dach kommt, ist eine lückenlose Versorgung natürlich garantiert! Die Mieter*innen merken gar nicht, ob der Strom gerade vom Dach oder von uns als Ökostrom aus dem Netz hinzubeliefert wird, wenn die Sonne mal nicht oder zu wenig scheint. Gibt es mehr Solarstrom, als vor Ort benötigt wird, wird dieser Strom ins Netz eingespeist. Speicher verbauen wir aktuell noch keine, wir beobachten allerdings bei allen Anlagen, ob sich der Einbau von Speichern lohnt und rüsten diese gegebenenfalls nach. Auch ohne Speicher erreichen wir allerdings bereits Eigenverbrauchsquoten von 50% bis 80% (insbesondere bei Gebäuden mit Wärmepumpe). Das heißt, dass 50%-80% des vor Ort erzeugten Solarstroms direkt lokal auch genutzt werden. Dies liegt daran, dass die Anlage bei Mieterstrom von recht vielen Abnehmern geteilt wird und zudem Allgemeinstrom verbraucht wird, z.B. durch Pumpen, Aufzug, Tiefgarage, Flurlicht etc.

Die digitale Vernetzung verschiedener Elemente im Kontext von »Smart Home« gewinnt zunehmend an Bedeutung. Liefert ihr auch dafür Lösungen?

Markus: Wir vernetzen Stadtmenschen mit der Energiewende an ihrem Wohn- und Arbeitsplatz. Und das Ganze konsequent digital mit unserer technologieoffenen proprietären Software, was unzählige Möglichkeiten weiterer Features liefert. Das heißt, auch die Einbindung in »Smart Home«-Systeme zur Steuerung großer Verbraucher, wie z.B. Waschmaschinen, ist denkbar.

Die Deutschen gelten, was die Wahl ihres Stromanbieters angeht, als relativ »wechselfaul« - viele bleiben einfach bei ihrem örtlichen Energieversorger, obwohl dieser in der Regel verhältnismäßig teuer ist und selten Ökostrom liefert. Welche Anreize, z.B. politische Maßnahmen, wären eurer Ansicht nach hilfreich, damit mehr Menschen einen aktiven Beitrag zur Energiewende leisten?

Markus: Wichtig ist, dass EINHUNDERT Energie kein herkömmlicher Energieversorger ist, der deutschlandweit Stromtarife bietet und bei Vergleichsportalen aufgeführt ist. Unser Komplettpaket mit App und monatlicher Abrechnung gibt es immer nur mit der Solaranlage zusammen. Der zügige Rollout von Solaranlagen auf urbanen Mehrparteiengebäuden unterliegt jedoch sowohl im Energie- als auch im Immobilienmarkt sehr strengen Vorgaben, komplexen Prozessen und teils undurchsichtigen Regelungen. Hier wäre eine deutliche Vereinfachung und vor allem Entschlackung der Bürokratie der bessere Weg. Denn ganz ehrlich, es gibt zahlreiche Maßnahmen und immer mehr Beschlüsse, die den Immobilienmarkt sehr unter Druck setzen, was energieeffizienten und klimaschützenden Bestand und Neubau angeht. Hier muss dringend Innovationen der Weg bereitet werden, noch schneller skalieren zu können.

Einige große Energiekonzerne bieten auf dem Markt ebenfalls Smart Meter mit einem ähnlichen Prinzip an. Mit welcher Strategie wollt ihr euch gegen die »Big Player« behaupten?

Markus: Bei Großkonzernen ist es wie bei großen Dampfschiffen: Klar passieren auch hier Innovationen, aber bis sich so ein großes Schiff bewegt hat, dauert es viel länger. Aktuell ist der Energiemarkt nunmal primär analog und grau unterwegs. Wir als Jungunternehmen sind da mit kurzen Entscheidungswegen und dadurch schnellerer Entwicklung weiterer Neuerungen weitaus wendiger unterwegs. Müssen wir aber auch, da wir uns nicht auf Etabliertem ausruhen können (und wollen), sondern schnell auf Neuerungen, Nischen und Bedürfnisse unserer Kund*innen reagieren müssen .

Wie ist die Idee zur Gründung von EINHUNDERT Energie entstanden und was waren die ersten konkreten Schritte zur Realisierung der Geschäftsidee?

Markus: Wir sind von Grund auf davon überzeugt, dass die Zukunft der Energieversorgung dezentral und auf Basis Erneuerbarer Energien laufen muss und wird. Wenn man sich dann anschaut, dass 50% der Deutschen zur Miete wohnen, sind sie dabei von dezentraler Energieversorgung sowie Verbrauchstransparenz ausgeschlossen. Da drängte sich für uns ganz klar die Frage auf: »Wie lösen wir das?« Die Antwort, die wir dann in unseren Köpfen hatten, zog auch wieder sehr konkrete Fragen nach sich wie »Wie werde ich in Deutschland überhaupt zum Energieversorger?« Und bei aller Euphorie kam dann doch auch mal etwas Ernüchterung hoch, denn so schnell und digital wir auch alles umkrempeln, so hochbürokratisch sind einige Prozesse, durch die wir uns bis zu unserem Ziel oft arbeiten müssen.

Was war bislang eure größte Herausforderung beim Aufbau eures Unternehmens?

Markus: Die Offenheit für neue Dienstleistungen und Innovationen im Energiemarkt sind eher beschränkt - Bürokratie und Regulierungen prägen insbesondere bei den großen Versorgern und Stadtwerken den Alltag. Dazu kommt eine große Fragmentierung der Stromnetzbetreiber, die für uns einer der Hauptansprechpartner bei der Realisierung der Projekte sind. In diesem Umfeld ein stark wachsendes und agiles Unternehmen aufzubauen, gleicht manchmal einem Spagat zwischen zwei völlig unterschiedlichen Welten. Eine weitere Herausforderung war definitiv die Frage: »Was können und machen wir selbst und was wollen wir outsourcen? Womit liefern wir den Mehrwert und wo setzen wir auf Partner*innen oder etablierte Lösungsbausteine, um bei der Gründung den Fokus zu behalten?« Eine Fähigkeit, die uns bisher durch die komplette Lebensphase des Unternehmens trägt.

Was zeichnet euer Team aus? Wie unterscheidet sich die Arbeit in einem jungen Startup von einer Tätigkeit in einem großen, etablierten Unternehmen?

Markus: Unser Team ist ein stetig wachsendes Bündel aus Expert*innen verschiedener Ingenieursbereiche, IT, BWL und Naturwissenschaften mit kurzen Kommunikationswegen und schnellen Entscheidungen. Auch bei uns geht es um die Definition von Prozessen, Standards etc., die bei einem starken Wachstum einfach unabdingbar sind. Doch das Thema »Schnelligkeit« ist definitiv eine Abgrenzung von den Großen. Allein im vergangenen Jahr brachten wir innerhalb von acht Wochen ein komplett neues Produkt von der Idee zur konkreten Umsetzung. Wie schon erwähnt, wir müssen auch schnell sein, aber das ist auch unsere große Chance und ehrlich gesagt, auch unser großer Spaß!

Neugierig geworden? Hier geht’s lang zur Website von EINHUNDERT Energie.

Eignet sich dein Dach für eine PV-Anlage? Hier gibt es ein Verzeichnis über sog. »Solarkataster« - einfach die entsprechende Stadt anklicken und die eigene Adresse eingeben. Du erhältst dann eine Einschätzung über die Sonneneinstrahlung auf deine Dachfläche.

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