Kleiner Ausflug in den introvertierten Kopf
Kennst du das? In Teammeetings fällt es dir schwer, Wortbeiträge einzubringen? Du bist zwar mit deiner Aufmerksamkeit voll bei der Sache, reflektierst die Beiträge deiner Kolleg:innen ausgiebig und hättest eigentlich wertvolle Ergänzungen zu machen? Oder ganz eigene Ideen zum Thema?
Doch bevor du dir überhaupt eine passende Formulierung zurechtlegen konntest, hat bereits die nächste Person das Wort ergriffen.
So verstreicht Minute um Minute und dich verlässt immer mehr der Mut, überhaupt etwas zu sagen. Und überhaupt, die anderen sind schon längst beim nächsten Thema. Du sagst dir: “War ohnehin vielleicht gar nicht so relevant, was ich mir da überlegt hatte. Na ja, dann halt beim nächsten Meeting. Oder gar nicht. Gegen die lauten Kolleg:innen komme ich eh nicht an.”
Mit diesen oder ähnlichen Gedanken bist du nicht alleine. Und sie sind in keiner Weise ein Ausdruck davon, dass etwas mit dir nicht stimmt. Sie spiegeln eine völlig normale Eigenschaft von introvertierten Gehirnen wider: Wir leisen Menschen benötigen tatsächlich mehr Zeit als die Extrovertierten, um unsere Gedanken zu strukturieren. Dadurch, dass wir Gedanken intensiver prozessieren, fallen uns z.B. oft Details auf, die andere leicht übersehen. Unsere Schlussfolgerungen sind durchdachter, beziehen etwa unterschiedliche Szenarien und Querverbindungen mit ein. Das ist in keiner Weise ein Defizit, sondern eine enorm wichtige Ergänzung zu unseren extrovertierten Kolleg:innen.
Hinzu kommt, dass Meetings in vielen Organisationen alles andere als inklusiv gestaltet sind. Das Problem ist also nicht dein Persönlichkeitstyp, sondern die Rahmenbedingungen einer Arbeitskultur, die das Potential extrovertierter Menschen stärker fördert.
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Dein Team braucht deine Ideen
In vielen Unternehmen dominieren extrovertierte Persönlichkeiten die Gesprächskultur. Sie reden viel, schnell und selbstbewusst – und werden dafür häufig als besonders kompetent wahrgenommen. Doch diese Wahrnehmung kann täuschen. Nur, weil eine Idee besonders laut und rhetorisch überzeugend vorgetragen wird, muss sie nicht zwingend gut sein.
Auch wenn es sich vielleicht oftmals nicht so anfühlt, weil du als introvertierte Person deinen eigenen Ideen gegenüber ziemlich kritisch und es bevorzugst, erst zu denken und dann zu sprechen (im Gegensatz zu deinen extrovertierten Kolleg:innen, bei denen ein solcher Filter scheinbar nicht eingebaut ist): Deine Ideen sind enorm wertvoll für das Team (eben weil du sie bereits zu Ende gedacht hast) und sind es wert, gehört zu werden!
Es ist schon vielfach belegt worden, dass eine Vielfalt an Perspektiven die Qualität von Entscheidungen deutlich erhöht - sei es, wenn es um die Entwicklung eines neuen Produktes, Personalentscheidungen oder neue organisatorische Prozesse geht.
Doch geben in Meetings immer dieselben Wortführer:innen oder nur bestimmte Persönlichkeitstypen den Ton an, fallen wichtige Impulse, die eher ruhige Teammitglieder liefern könnten, unter den Tisch. Zudem entsteht eine Verzerrung in der Meinungsbildung. Entscheidungen basieren dann auf einem begrenzten Ausschnitt an Perspektiven – was langfristig zu schlechteren Ergebnissen führen kann.
Introvertierte bringen oft analytische Tiefe, kreative Lösungsansätze und eine reflektierte Herangehensweise ein. Damit diese Qualitäten in die Teamleistung einfließen können, muss eine Team- und Meeting-Kultur geschaffen werden, die auf psychologischer Sicherheit basiert. Das heißt, alle Mitglieder fühlen sich eingeladen, ihre Meinung zu sagen, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Psychologische Sicherheit gilt als ein zentraler Erfolgsfaktor für leistungsstarke Teams.
Doch dies ist leider alles andere als selbstverständlich. Und da die meisten von uns Introvertierten nunmal in Organisationen unterwegs sind, in denen die Lauten dominieren, ist es sinnvoll, passende Strategien zu entwickeln.
Im Folgenden gehen wir darauf ein, wie du als leiser Mensch in einer lauten Welt mehr Gehör findest - ohne dich verkünsteln zu müssen.
Warum Meetings für Introvertierte oft schwierig sind
Gehen wir zunächst auf einige der Faktoren ein, die Meetings für Introvertierte herausfordernd machen. Im Anschluss überlegen wir, wie wir diesen Herausforderungen begegnen können.
Introvertierte Menschen bevorzugen in aller Regel ruhige Umgebungen, denken gerne erst in Ruhe nach, bevor sie sprechen, und finden Smalltalk oder spontane Wortmeldungen anstrengend. Meetings hingegen folgen häufig einem anderen Rhythmus: schnell, laut, mit wenig Raum für Reflexion.
Typische Herausforderungen:
- Schnelle Themenwechsel: Es bleibt kaum Zeit, Gedanken zu sortieren oder durchdachte Beiträge zu formulieren.
- Dominante Redeführende: Wer extrovertiert ist, redet öfter und länger – das kann dazu führen, dass andere kaum zu Wort kommen.
- Spontanitätsdruck: Wer als introvertierte Person in Meetings "auf Zuruf" performen soll, fühlt sich schnell überfordert.
- Selbstzweifel: Introvertierte sind häufig selbstkritisch. Die Angst, etwas „Falsches“ zu sagen, bremst sie zusätzlich aus.
- Unsichtbarkeit: Wer nicht am Smalltalk teilnimmt oder in Meetings selten spricht, wird oft weniger wahrgenommen, unabhängig von der tatsächlichen Leistung.

Strategien für mehr Sichtbarkeit – ohne dich zu verstellen
Noch einmal, weil wir es nicht oft genug betonen können: Introvertiert zu sein ist keine Schwäche. Es ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das wertvolle Stärken mitbringt. Sichtbar zu werden bedeutet nicht, extravertiertes Verhalten nachzuahmen. Es geht darum, deinen eigenen Kommunikationsstil wirksam einzubringen und für dich selbst gute Rahmenbedingungen zu schaffen.
1. Vorbereitung is key
Für Introvertierte ist eine Vorbereitung im Vorfeld zum Meeting essenziell. Sie gibt Sicherheit und reduziert den Druck, spontan brillieren zu müssen.
Konkret:
- Lies die Meeting-Agenda vorab genau durch. Falls es noch keine gibt, bitte darum, dass eine rumgeschickt wird. Das hilft allen Beteiligten und ist Grundvoraussetzung für einen effizienten Meeting-Ablauf.
- Notiere dir zu jedem Agenda-Punkt kurz mögliche Beiträge, Rückfragen oder Kritikpunkte. Formuliere Gedanken stichpunktartig vor – das hilft, im Meeting schneller darauf zurückzugreifen.
- Überlege dir ein Ziel: Was möchtest du heute beitragen? Was wäre ein „Erfolg“ für dich?
2. Innere Barrieren von Anfang an minimieren
Das hast du sicherlich auch schon erlebt: Je länger das Meeting voranschreitet, desto mehr wächst die innere Hemmschwelle für einen Redebeitrag.
Die Kommunikationstrainerin Yvonne de Bark empfiehlt eine Strategie, die auf einem Effekt basiert, den sie „Once you break the wall“ nennt. Dabei ist es essentiell, direkt von Anfang an präsent zu werden. Und zwar bevor (!) die eigentliche Meeting-Agenda beginnt.
Das heißt konkret: Du musst das Smalltalk-Game nicht bis zum Erbrechen durchspielen. Ich weiß, du bist für die Inhalte im Meeting da, nicht für sinnlose Gespräche über das Wetter. Aber beteilige dich zumindest kurz am Geplauder, stelle eine Frage, begrüße Kolleg:innen, die du magst.
Wozu? Weil du damit signalisierst: “Ich bin da. Ich gehöre zur Gruppe.” Mit dieser Grundlage werden deine Wortbeiträge später ganz anders wahrgenommen. Du bist dann nicht mehr die zurückhaltende Person, die plötzlich etwas sagt. Stattdessen kommen deine Beiträge viel selbstverständlicher rüber.
Und das Wichtigste: Du selbst nimmst dir damit den Druck raus. Das ist der „Once you break the wall“-Effekt. Die anfängliche Hemmschwelle direkt zu Beginn zu überschreiten, lässt sie erst gar nicht unüberwindbar groß werden.
3. Du darfst dein eigenes Tempo haben

Du musst nicht versuchen, die anderen nachzuahmen. Und es gibt nicht den “einen richtigen” Zeitpunkt, an dem du deine Beiträge platzieren musst. Selbst wenn die anderen schon beim nächsten Thema sind, bis du deine Gedanken zu Ende sortiert hast - du kannst deine Idee auch nachträglich noch äußern.
Nutze gerne Formulierungen wie:
- “Ich möchte zu Thema xy gerne noch etwas ergänzen.”
- „Darf ich dazu noch eine andere Perspektive einbringen?“
- „Daran anschließend hätte ich noch einen Gedanken.“
Durch diese klaren Aufhänger bringst du automatisch Fokus in den Raum und minimierst die Wahrscheinlichkeit, unterbrochen zu werden.
Auch ein Handzeichen an die moderierende Person kann eine gute Möglichkeit sein, Raum zu bekommen, ohne laut werden zu müssen.
4. Lass dich nicht von Perfektionismus blockieren
Ja, ich weiß. Du hast wahrscheinlich auch den Anspruch an dich selbst, nur wirklich zu Ende gedachte Ideen und Vorschläge zu äußern. Gedanken, die bereits alle möglichen Szenarien für ein Problem einbezogen haben und Lösungen für alle möglichen Hürden ausgearbeitet haben.
Ansonsten könnte man sich ja blamieren.
Dieser hohe Anspruch ist Ausdruck deiner ausgeprägten Fähigkeit zur Reflexion. Und die ist in den richtigen Kontexten eine echte Superpower. Gleichzeitig darfst du dir bewusst machen, dass es in einem Meeting in aller Regel darum geht, unterschiedliche (unperfekte) Ideen zu sammeln und diese gemeinsam weiterzuentwickeln.
Selbstverständlich gibt es aber keinen “Aus-Knopf” für den eigenen Perfektionismus. Er wird weiterhin mit dir im Meeting sitzen. Was enorm helfen kann, ist, offen mit Unsicherheiten umzugehen, die du in Bezug auf deine Ideen hast. Oder du stellst Aspekte, zu denen du selbst noch keine zufriedenstellende Antwort hast, als offene Frage in den Raum.
Zum Beispiel:
- “Das ist jetzt ein spontaner, noch etwas unsortierter Gedanke. Ich möchte ihn aber trotzdem mit euch teilen. Und zwar …”
- “Ein Punkt, an dem sich für mich noch Fragen auftun, ist ….” Habt ihr Ideen, wie wir damit sinnvoll umgehen können?”
- Mir ist zwar selbst noch nicht ganz klar, wie eine gute Lösung aussehen könnte, aber ich möchte dennoch auf folgende Schwierigkeit hinweisen, die ich sehe …”
- “Mir kam gerade folgende Idee, die aber noch nicht zu Ende gedacht ist ... Welche Ergänzungen habt ihr dazu?”
Großer Vorteil: Somit gibst du wertvolle Impulse in den Raum, ohne dir vorher perfekte Lösungen überlegen zu müssen und gibst anderen die Chance, an deine Gedanken anzuknüpfen. Die richtig guten Lösungen kommen ohnehin meist erst, wenn unterschiedliche Perspektiven einfließen (Stichwort Gruppenintelligenz).
5. Asynchrone Beiträge nutzen
Auch mit guter Vorbereitung und guten Vorsätzen kann selbstverständlich passieren, dass wir trotzdem nicht zu Wort kommen oder uns die guten Ideen schlicht erst nach dem Meeting kommen. Gar kein Problem.
In solchen Fällen kannst du z.B. eine Follow-Up-Mail an deine vorgesetzte Person senden:
»Liebe*r …, im Nachgang zum Meeting am … habe ich mir nochmals Gedanken zum Thema … gemacht und schlage folgende Ideen/Lösungen vor …«
Das zeigt, dass du aktiv mitgedacht hast und proaktiv die Initiative ergreifst, dich einzubringen – und du gibst dir und deinen Ideen Raum.
Alternativ kannst du interne Tools (z. B. Slack, MS Teams) nutzen, um Feedback oder Ideen mit mehreren Kolleg:innen zu teilen.
Selbstverständlich besteht zudem die Möglichkeit, nach dem Meeting gezielt auf einzelne Personen zuzugehen und deinen Input zu platzieren (wahrscheinlich sind dir als introvertierte Person 1:1-Gespräche deutlich lieber als Gruppen-Meetings).

Meeting-Kultur inklusiv gestalten
Wie bereits eingangs erwähnt, hat die Art und Weise, wie Meetings gestaltet und moderiert werden, enormen Einfluss darauf, wie sicher wir uns fühlen und welche Stimmen gehört werden.
Im folgenden geben wir einige Tipps für eine inklusive Meeting-Kultur.
Meeting-Vorbereitung
Damit wir neben den ganzen Meetings auch Zeit für das Erledigen unserer eigentlichen Aufgaben haben, sollten Meetings möglichst effizient gestaltet werden. Und das funktioniert mit einer entsprechenden Vorbereitung.
Zunächst sollte allen Beteiligten klar sein, wer das Meeting leitet bzw. moderiert. Diese Person ist auch für die Meeting-Vorbereitung zuständig. Idealerweise rotiert diese Rolle - dies stärkt die Eigenverantwortung im Team und minimiert die Bildung informeller Hierarchien.
Gute Meeting-Moderation beinhaltet:
- Rechtzeitige Kommunikation der Meeting-Agenda im Vorfeld zum Termin: So haben alle die Gelegenheit, sich vorzubereiten
- Klare Definition des Ziels bzw. des gewünschten Ergebnisses: Damit allen klar ist, warum sie eigentlich im Meeting sitzen
- Explizite Einladung, dass bereits im Vorfeld schriftliche Beiträge willkommen sind
Moderation
Die Hauptaufgabe der moderierenden Person ist es, sicherzustellen, dass die Meeting-Ziele erreicht werden. Außerdem achtet sie darauf, dass die Zeit eingehalten wird.
Eine inklusive Moderation achtet außerdem darauf, dass alle - auch die leisen Teammitglieder - zu Wort kommen. Dies kann konkret umgesetzt werden durch:
- das Setzen eines Zeitlimits für einzelne Redebeiträge (inkl. Timer!)
- Einführen von Brainstorming-Runden, in denen alle reihum kurz ihre Gedanken teilen (Zeitlimit setzen und einhalten!)
- das Aussprechen gezielter Einladungen an Menschen, die noch wenig zu Wort gekommen sind (ohne Zwang), z.B. “Möchte jemand, der bislang nicht zu Wort gekommen ist, noch etwas beitragen?”
- Das bewusste Einbauen von Redepausen, in denen es weniger dominanten Personen leichter fällt, sich zu melden (“Jetzt halten wir alle mal für eine Minute inne und denken noch einmal nach.”)
- Festlegen von Handzeichen (oder bei digitalen Calls auch Chatfunktionen) für Wortmeldungen (wichtig ist, dass die Moderation diese auch aufgreift)
- Einigung auf Meeting-Regeln, z.B. “Wir lassen einander ausreden”, “Wir formulieren Kritik wertschätzend.”, “Auch verrückte und unperfekte Ideen sind willkommen.”, “Schweigen wird nicht automatisch als Zustimmung gewertet.”
- Statt endloser Diskussion in großer Runde: Bildung von Kleingruppen, um Ideen gezielt weiterzuentwickeln (hier können leise Menschen ihre Beiträge wesentlich einfacher einbringen)
- Anonyme oder schriftliche Beiträge ermöglichen: In digitalen Meetings können Tools wie Mentimeter oder Miro helfen, Meinungen auch anonym einzuholen. So sinkt die Hemmschwelle für Introvertierte. In analogen Meetings können auch kleine interaktive Einheiten eingebaut werden, in denen alle Stichpunkte auf Post-its festhalten und diese auf einem Whiteboard gesammelt werden
Kleiner Zusatz-Tipp: Die Aufgabe, die Zeitvorgaben für Redebeiträge durchzusetzen, ist aus Sicht der Moderation oftmals keine angenehme Aufgabe. Aber ungeheuer essentiell, damit die Redezeit wirklich fair verteilt werden. Dabei kann es helfen, wenn du als Moderation deine Rolle von deiner Person entkoppelst. Konkret könnte das wie folgt lauten: “Ich in meiner Rolle als Zeithüter:in weise darauf hin, dass du noch 1 Minute Redezeit hast. Bitte bringe deinen Satz jetzt noch zu Ende und dann bekommt die nächste Person Raum.” Ein Timer, der für alle hörbar das Ende der Redezeit markiert, kann dies zusätzlich unterstreichen.
Fazit
Introvertierte haben viel zu sagen – sie brauchen nur Räume, in denen sie das auf ihre Weise tun können. Mehr Sichtbarkeit in Meetings bedeutet für introvertierte Menschen nicht, das Verhalten extrovertierter Persönlichkeiten nachzuahmen und zu versuchen, mit ihnen “mitzuhalten”. Es geht vielmehr darum, die eigenen Stärken gezielt einzusetzen und Strukturen zu nutzen, die deinem Kommunikationsstil gerecht werden.
Gleichzeitig sind auch Führungskräfte, Teams und moderierende Personen gefordert, Meetings so zu gestalten, dass leise Stimmen nicht überhört werden. Denn nur wenn alle mitdenken – und mitreden – können Teams ihr volles Potenzial entfalten.
Bonus: Ein wundervolles Plädoyer für die Superpowers von Introvertierten
19 Minuten, die sich wirklich lohnen.