Berufsbild Integrationsmanagement: »Jeder Mensch ist Expert*in für sein eigenes Leben.«

Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen stehen nach ihrer Ankunft bei uns oft vor riesigen Herausforderungen. Hier braucht es Anlaufstellen und Menschen, die sie bei der Alltagsbewältigung und Bürokratie unterstützen oder auch bei persönlichen Sorgen ein offenes Ohr haben. Genau diese überaus vielseitige Aufgabe übernehmen Integrationsmanager*innen – und leisten somit einen wichtigen Beitrag für eine diverse, solidarische Gesellschaft. Carolin Radburg ist Integrationsmanagerin beim Diakonischen Werk Breisgau-Hochschwarzwald und erzählt in diesem sehr persönlichen Interview über ihren Arbeitsalltag und mögliche Einstiegsmöglichkeiten.
Buntes Wandgraffitti mit den Aufschriften "Refugees welcome" und "Real equalitiy is not possible if we don't celebrate our differences".
Photo by Matteo Paganelli on Unsplash
von Charlotte Clarke, 8. Februar 2023 um 14:15 (Update)

Integrationsmanagement ist ein Tätigkeitsfeld mit einem vielfältigen Aufgabenspektrum. Kannst du uns einen Überblick geben, welche Aufgaben dies umfasst?

Carolin Radburg: Aufgabe des Integrationsmanagements ist es, Menschen mit Fluchthintergrund in ihrem Prozess der Integration hier in Deutschland durch Beratung und Begleitung zu unterstützen, wobei Integration wirklich alle möglichen denkbaren Bereiche umfasst: Sprache, Schule, Ausbildung, Studium, Arbeitssuche, Wohnungssuche, Kinder und Familie, Gesundheit, Freizeit, gesellschaftliche Teilhabe, Verfestigung des Aufenthalts, Sicherung des Lebensunterhalts, etc.

Als Integrationsmanager*in bietet man eine gut erreichbare Anlaufstelle an, um den Geflüchteten Orientierung zu geben, um an bestehende Angebote weiterzuvermitteln, bei Bürokratie und Behördenkram zu unterstützen und die Menschen in den ganz unterschiedlichen Bereichen zu beraten.

Was genau macht ein gelungenes Integrationsmanagement für dich aus? Welche Faktoren sind besonders wichtig, damit Menschen mit Migrationserfahrung ein Gefühl von Zugehörigkeit und Selbstwirksamkeit entwickeln?

Carolin: Für ein gelungenes Integrationsmanagement ist für mich besonders die Haltung gegenüber den Geflüchteten wichtig: Jeden Menschen als ein Individuum zu betrachten, das ganz eigene Vorstellungen vom Leben hat. Sich Zeit nehmen, der*dem Einzelnen zuhören, Geduld haben und jedem Menschen möglichst vorurteilsfrei und wertschätzend begegnen. So kann eine gute Vertrauensbeziehung aufgebaut werden, in der man die Menschen motivieren kann und ihnen Impulse geben kann für ihren persönlichen Weg. Und ich habe gelernt, dass nichts unmöglich ist und man die Hoffnung nicht aufgeben sollte. Im Arbeitsalltag begegnet man vielen Ungerechtigkeiten, aber mit großem Einsatz, auch z.B. auf politischer Ebene, kann man manchmal mehr erreichen, als man denkt.

Konkret sichtbar wird das Gelingen in den Fortschritten, die die Menschen auf den einzelnen Ebenen der Integration machen: Viele sprechen mittlerweile gut deutsch, haben eine Arbeitsstelle oder eigenen Wohnraum gefunden, sind bereit für eine Ausbildung und werden dadurch auch im Allgemeinen selbständiger und finanziell unabhängig. Mit diesen Fortschritten einhergehend vermehren sich bei den Menschen mit der Zeit auch die Selbstwirksamkeitserfahrungen und ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl entsteht. Sehr förderlich dafür ist es, wenn Geflüchtete für sich in Deutschland eine Perspektive entwickeln können, sich realistische Ziele setzen und vorankommen können.

Voraussetzung dafür ist jedoch ein stabiles soziales Umfeld und Gesundheit. Bestehende unverarbeitete Traumata und zerrissene Familien, beispielsweise durch die Flucht, Kriegserfahrungen oder das Asylsystem, hemmen die Integration stark und wirken sehr kontraproduktiv. Essentiell ist zudem, dass der Aufenthaltsstatus überhaupt die Chance eröffnet, sich zu integrieren – ein negativer Abschluss des Asylverfahrens verschließt viele Türen für die Teilhabe an der Gesellschaft: Kein Zugang zu Sprachkursen, ein Arbeitsverbot und gekürzte Sozialleistungen. Da kann man als Integrationsmanager*in auch nur sehr schwer Hoffnungen wecken.

Für ein Zugehörigkeitsgefühl ist auch wichtig, dass Integration immer von beiden Seiten kommen muss – nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die »Einheimischen« müssen Bereitschaft und Offenheit zeigen, auf die Menschen zugehen und Raum für Begegnungen schaffen. Nur so kann ein Zusammenleben entstehen und die Entstehung von Parallelgesellschaften vermieden werden.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag für dich aus?

Carolin: Ich bin für drei kleine Gemeinden zuständig, fahre also jeden Tag woanders hin und biete dort offene Sprechstunden oder Termine für die Geflüchteten im Rathaus oder im Wohnheim an oder mache Hausbesuche bei Familien. Zudem bin ich gut vernetzt mit den Mitarbeiter*innen des Rathauses und mit meinem Team des Wohlfahrtsverbandes, bei dem ich angestellt bin. Mit diesem Team habe ich auch regelmäßige Meetings, die sehr wertvoll sind, da ich in den Gemeinden als Sozialarbeiterin eher für mich alleine arbeite. Wenn gerade keine Beratung stattfindet, bin ich immer sehr viel am Telefonieren und E-Mails schreiben, Recherchieren und dadurch per Multitasking gedanklich und thematisch dabei, die unterschiedlichen Fälle voranzubringen.

Inwieweit ist das Integrationsmanagement mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, z.B. Kulturvereinen, Nachbarschaftsinitiativen oder religiösen Gemeinden verzahnt? Hier finden sich ja oftmals sehr erfolgreiche und vorbildliche Praxisbeispiele für gelungene Integration.

Carolin: Netzwerkarbeit ist tatsächlich ein wichtiger Baustein des Integrationsmanagements. In den Gemeinden gab es bereits vor dem Integrationsmanagement schon gute Strukturen von engagierten Bürger:innen, die sich ehrenamtlich für die Geflüchteten einsetzen und sehr aktiv sind. Diese Helferkreise haben sich zunehmend 2015 als Vereine gegründet, als der Bedarf an Unterstützung von Zugewanderten ganz groß war. Ehrenamtliche sind oft viel näher an den Geflüchteten dran, weil sie viel mehr Zeit für die einzelne Person haben. Das ist eine wertvolle Ressource, daher arbeite ich auch mit diesen Engagierten eng zusammen.

Auch die Kirchen fördern zum Teil die Integration, beispielsweise gibt es bei uns einmal im Quartal ein interreligiöses Friedensgebet, das zum Dialog zwischen den Religionen anregt und hilft, Grenzen abzubauen.

Magst du uns etwas über deinen persönlichen Werdegang erzählen? Welchen fachlichen Hintergrund hast du und wie kam es dazu, dass du in das Integrationsmanagement gefunden hast? Hattest du bereits während deines Studiums eine solche Tätigkeit im Blick?

Carolin: Ich habe Soziale Arbeit an der katholischen Hochschule in Freiburg studiert und war genau zu der Zeit fertig, als das Integrationsmanagement in Baden-Württemberg Ende 2017 neu war, daher habe ich mich auf diese Stellen gezielt beworben. Während des Studiums habe ich an der Hochschule ein Gasthörenden-Programm für studieninteressierte Geflüchtete koordiniert und in meinem Praxissemester mit Jugendlichen und eben auch mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten gearbeitet, das war beides sehr spannend und hat mir viel Freude bereitet.

Welche Studiengänge eignen sich besonders, damit ich gute Chancen habe, in diesem Bereich tätig zu werden? Gibt es vielleicht begehrte (Hard und/oder Soft) Skills, die ich mir schon während des Studiums aneignen kann?

Carolin: Gut geeignet ist auf jeden Fall ein Bachelor in Soziale Arbeit, aber auch mit Erziehungswissenschaften oder Sozialwissenschaften hat man gute Chancen. Es ist von Vorteil, Skills in Gesprächsführungstechniken, Beratung und Case-Management zu haben. Auch Fremdsprachen zur Kommunikation mit den Geflüchteten sind eine wertvolle Ressource. Viele Menschen sprechen gut Englisch, ansonsten sind Arabisch oder andere Sprachen der Zugewanderten auf jeden Fall hilfreich. Aber auch die »einfache Sprache« zu beherrschen, ist essentiell für die Verständigung.

Wie sieht es mit Quereinsteiger*innen aus, also Menschen, die bereits im Beruf stehen, aber gerne in das Integrationsmanagement wechseln möchten? Kennst du evtl. Weiterbildungsangebote, mit denen ich mich passend qualifizieren kann?

Carolin: Ich habe beispielsweise eine Kollegin, die von Beruf Verwaltungsfachkraft ist und mit bestimmten Fortbildungen, z.B. zu den Themen Case-Management, Asyl- und Aufenthaltsrecht, interkulturelle Kompetenz, Netzwerkarbeit, Begleitung von Ehrenamtlichen, Sozialraum,… nun als Integrationsmanagerin arbeitet. Da ist, glaube ich, vieles möglich.

Wand-Mosaik mit dem Wortlaut:
Photo by Antoine Merour on Unsplash

In deinem Beruf kommt man automatisch in Berührung mit verschiedensten Kulturkreisen sowie auch mit Menschen, die traumatische Fluchterfahrungen gemacht haben. Welche persönlichen/menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten sollte ein*e Integrationsmanager*in idealerweise mitbringen, um eine verständnisvolle und unterstützende Beziehung zu den Klient*innen aufzubauen?

Carolin: Die Basis, um eine vertrauensvolle Beziehung zu den Klient*innen aufbauen zu können, ist Empathie sowie eine Sensibilität dafür, was bei den Menschen gerade dran ist und ihnen wichtig ist. Also den Menschen zuhören und sich Zeit für sie nehmen, jedoch in einer gesunden Balance mit der Fähigkeit, sich abzugrenzen und Feierabend zu machen, ohne die Schwere mancher Themen auf sich selbst zu übertragen und »mit nach Hause« zu nehmen.

Man braucht eine offene Haltung gegenüber allen Menschen und sollte immer versuchen, die Klient*innen nicht vorab in Schubladen zu stecken. Dabei hilft interkulturelle Kompetenz, um sensibel mit bestimmten Gewohnheiten umgehen zu können und sich selbst immer wieder zu reflektieren und die eigene Haltung zu hinterfragen. Nicht zu denken, man wisse am besten, was gut für die Menschen ist. Jeder Mensch ist Expert*in für sein eigenes Leben.

Wichtig ist Geduld für die Verständigung, denn zum Teil sind die Sprachbarrieren sehr groß. Hierfür ist auch eine Flexibilität wichtig, denn jeder Mensch bringt andere Voraussetzungen mit, nicht nur in den Sprachkenntnissen, sondern auch vom Bildungsstand her. So kann man für jede*n das geeignete, ganz individuelle Maß an Unterstützung finden und Selbständigkeit fördern.

Sehr vorteilhaft ist auch Multitasking, man ist gedanklich immer in ganz vielen unterschiedlichen Fällen und Themen drin und wechselt viel zwischen Englisch und Deutsch, oft in einfacher Sprache. Ansonsten hilft eine optimistische, positive Grundhaltung und Gelassenheit.

Inwieweit ist die Auseinandersetzung mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Teil deines Arbeitsalltags? Wie gehst du damit um?

Carolin: Rassismus ist in der Gesellschaft und damit auch in meinem Arbeitsalltag allgegenwärtig, z.B. unter Vermieter*innen von Wohnungen oder in der Nachbarschaft der Geflüchteten, bei den Behörden und besonders, wenn Geflüchtete selbst über ihre Erfahrungen berichten. Mir ist wichtig, dieses Thema sehr ernst zu nehmen und die Geflüchteten darin zu bestärken, etwas dagegen zu unternehmen. Es gibt zum Beispiel die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die in einigen Städten Beratungsstellen hat, dort verweise ich manchmal hin.

Und Alltagsrassismus lauert auch immer wieder in meinen Telefonaten oder Gesprächen. Dann versuche ich, durch kritisches Nachfragen mein Gegenüber zur Selbstreflexion anzuregen. Aber das ist gar nicht so leicht. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind leider sehr tief in den Köpfen unserer weißen Mehrheitsgesellschaft verankert, oft auch ungewollt und unterbewusst. Ich selbst nehme mich davon nicht aus. Das ist noch ein ganz langer Weg dahin, bis die Herkunft und äußere Merkmale keine Rolle mehr spielen.

Ich denke, es ist ganz wichtig, Rassismus nicht herunterzuspielen oder einfach so stehen zu lassen, sondern zu skandalisieren und so das Thema auch in Politik und Medien für die Gesellschaft präsenter zu machen und ein Bewusstsein und eine Sensibilität dafür zu fördern. Als konkretes Projekt haben wir beispielsweise in unserem Team ein Kinderbuch entwickelt, als Plädoyer für Vielfalt und ein friedliches Miteinander aller Menschen und um bereits im Kindesalter eine Offenheit und Neugier für Vielfalt zu wecken. Unsere Vielfaltsgesellschaft sollte in den Köpfen der Menschen mehr und mehr zur Normalität werden.

Was bedeutet für dich als Integrationsmanager*in »Erfolg«? Das heißt, welche Art von positivem Feedback gibt dir dein Job, bei dem du das Gefühl bekommst »Ich konnte etwas Sinnvolles bewegen!«

Carolin: Ganz konkret geben mir manchmal die Geflüchteten direkt Feedback und sagen mir, wie ich sie motiviert habe oder wie sie mit meiner Unterstützung vorangekommen sind. Ich bekomme auch ganz viel Dankbarkeit entgegengebracht, auch einfach für die Zeit, die ich mir nehme und für mein Engagement, in welcher Form auch immer.

Ein persönliches Highlight war eine Familienzusammenführung. Nach sechs Jahren kann eine Frau nun endlich wieder mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern zusammenleben, die lange in Kenia unter prekären Bedingungen auf ihre Visa nach Deutschland gewartet haben. In diesem Prozess dieses Familiennachzugs habe ich die Klientin fast drei Jahre lang begleitet und es schien oft hoffnungslos, aber zusammen haben wir immer weiter versucht, dass es endlich vorangeht und den Prozess zu beschleunigen. Letztendlich haben wir ihre Geschichte sogar an die Bundestagsabgeordneten der umliegenden Wahlkreise herangetragen und auf einmal ging es ganz schnell. Bereits einen Monat später habe ich die Frau zum Frankfurter Flughafen begleitet, um ihre Familie in Empfang zu nehmen. Das war sehr bewegend und ich habe gemerkt, dass sich mein Engagement lohnt und ich wirklich etwas bewirken kann.

Foto © Carolin Radburg

Über Carolin Radburg

Dass ich mit Migrant*innen arbeiten möchte, wusste ich seit meinem Praxissemester, in dem ich in einer Jugendhilfeeinrichtung mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten gearbeitet habe. Die Menschen und ihre Geschichten haben mich sehr interessiert und bewegt und ich habe die Arbeit als sehr bereichernd erlebt. Ich habe während des Studiums etwas Türkisch und Arabisch gelernt und ein Auslandssemester in Istanbul absolviert. Und in meiner Freizeit reise ich auch gerne und finde es super spannend, ganz unterschiedliche Menschen und verschiedene Lebensweisen kennenzulernen. So bin ich schließlich zur Arbeit mit dieser Zielgruppe gekommen.

Das Integrationsmanagement ist eine befristete Projektstelle und läuft jetzt noch für zwei weitere Jahre. Was danach für mich kommt oder ob es vielleicht auch weiter verlängert wird, ist offen.

Meine persönliche Mission: Ich würde sagen, weil mir im Arbeitsalltag sehr viele Ungerechtigkeiten begegnen, möchte ich auch über die Arbeit mit den einzelnen Menschen hinaus auf einer übergeordneten Ebene in der Gesellschaft und unserem System, in dem wir hier leben, zu Veränderung und Verbesserung beitragen. Ich möchte mich für Teilhabe, Chancengleichheit, Menschlichkeit und ein menschenwürdiges Leben für alle einsetzen. Und auch dafür, dass in unserer Gesellschaft Grenzen zwischen Menschen abgebaut werden, viel mehr Raum für Begegnungen geschaffen wird und alle Menschen, ganz egal woher sie kommen, woran sie glauben oder wie sie aussehen, in einem friedlichen oder sogar freundschaftlichen Miteinander und vor allem auf Augenhöhe zusammenleben können.

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