»Ich wollte wissen, ob ich anders arbeite, wenn ich weiß, dass ich nichts mehr muss«

Von dem Architekt und Karma-Ökonom Van Bo Le-Mentzel stammt die Idee für Fair Trade produzierte Karma Chakhs oder für die Hartz IV Möbel. In einem Selbst-Experiment hat er ein Jahr lang ohne Lohn gearbeitet, um zu erfahren ob man dadurch kreativer und freier an die Arbeit geht. Auf der "UTOPIKON - Die Utopie-Ökonomie-Konferenz" gibt er einen Workshop und teilt seine Erfahrungen mit den Teilnehmern. Für die Veranstaltung anmelden könnt ihr euch bis zum 5. September! Mehr über Van Bo und seine Ideen, Inspirationen und Projekte gibt’s im Interview.
Foto: privat
von Regina Rohland, 29. August 2016 um 12:03

Einen Perspektivenwechsel im Wirtschaften und dem Umgang mit einander schaffen, der nicht nur reine Utopie ist: das ist das Ziel der "UTOPIKON - Die Utopie-Ökonomie-Konferenz". 2016 findet die UTOPIKON-Konferenz unter dem Thema "Wege in eine geldfreiere Gesellschaft" statt. Die Veranstaltung will Alternativen aufzeigen, Inspiration geben und Austausch für ein freieres und solidarischeres Wirtschaften ermöglichen. Mit dabei ist Van Bo Le-Mentzel. Er entwickelt selbst immer neue Ideen, für ein Arbeiten und Wirtschaften ohne Fokus auf ein ständiges Wachstum und Geldfluss. Bei seinen Projekten kann jeder seine Fähigkeiten teilen und sich selbst einbringen.

Die Idee der "UTOPIKON - Die Utopie-Ökonomie-Konferenz" ist es, die Gesellschaft geldfreier zu gestalten. Welches Problem siehst Du in unserem Bezug zu Geld?

Van Bo Le-Mentzel: Das Geld hat eine Sache geschafft, in uns den Glauben zu verankern, dass Zahlen, Geldscheine und Kontostände einen Wert haben, glaubwürdig sind, kredibel sozusagen.

Doch jeder, der mal in Pakistan war und hinterher versucht hat, an deutschen Banken die übriggebliebenen pakistanischen Geldscheine in Euro zu wechseln, weiß, dass es hier um eine reine Glaubenssache geht. Ich habe meine Scheine sogar bei einer Wechselstube nicht gewechselt bekommen. Die sagten: »Wir glauben nicht, dass in den nächsten Jahren jemand aus Deutschland nach Pakistan reisen wird. Sorry.«.

Du hast in Pakistan 2015 das Fair Trade Schuhprojekt Karma Chakhs ins Leben gerufen. Bei diesem Projekt untersuchst Du die ausbeuterische Seite der Globalisierung. Doch ganz ohne Geld konnte man bei diesem Projekt ja auch keine Schuhe bestellen, oder? 

Van Bo: Es gab ein Dutzend Menschen, die anstelle von Geld versprochen haben mit gutem Karma zu zahlen. Das heißt, sie haben uns beim Verpacken der Schuhe geholfen, als die aus Pakistan in Berlin eintrafen. Darauf habe ich aber nicht bestanden. Wenn die Menschen eine Stunde mit einer vereinsamten Witwe durch den Park gehen oder in einer Notunterkunft aushelfen, ist das auch ein gutes Karma, welches nicht direkt in das Gelingen der Karma Chakhs einfließt, auf globaler Ebene aber schon. Wir sind ja alle miteinander vernetzt.

Was läuft Deiner Meinung nach falsch in unserer Arbeitswelt und unserem Bezug zu Geld?

Van Bo: Mich stört das Unpoetische am Geld. Zahlen und Papier und sogar Plastikkarten können etwas sehr mystisches sein. Die Reais Geldscheine in Brasilien ziert immer ein Tier. Der 2 Reais-Schein, was ungefähr mit 50 Cent vergleichbar wäre, ist zum Beispiel eine lahme blaue Schildkröte. Das ist doch schön. Auch Kontoauszüge können eine gewisse Matrix-Ästhetik aufweisen und das Online-Banking hat etwas von der Dystopie aus dem Film "Just in Time" mit Justin Timberlake, wo man anstelle von Dollarn mit Lebenszeit bezahlt. Diese stupide Plus-Minus-Mathematik ist ziemlich banal und so wenig Lebensrealität, wie Liebe oder Humor mit Mathematik erklärbar sind.

2015 hast Du Dich ein Jahr lang mit dem demokratischen Stipendium #dScholarship finanziert und ohne Bezahlung gearbeitet. Für Deinen Lebensunterhalt haben während der Zeit Stifter gesorgt. Was wolltest Du mit dem Experiment herausfinden?

Van Bo: Ich wollte wissen, ob ich anders arbeite, wenn ich weiß, dass ich nichts mehr muss.

Wie hat es sich angefühlt mit dem Geld aus dem Stipendium zu leben? Waren Leben und Arbeit dadurch für Dich tatsächlich freier und kreativer oder doch auch schwierig?

Van Bo: Boa, am Anfang habe ich mich so sehr unter Druck gesetzt, dass ich erstmal ein Event zu Anfang des Jahres erfunden habe: #dclassconference

Bei diesem zweitägigen Kongress kamen Bildungsaktivisten wie der populärwissenschaftliche Neurobiologe Gerald Hüther und der Unternehmer Maurice De Hond (Erfinder der iPad-Grundschulen).

Welche Rolle spielt Bildung für Deine Ansichten zum Thema Geld?

Van Bo: Bildung würde völlig anders aussehen, wenn wir aufhören würden, Dinge zu lernen, die uns nur deswegen interessieren, weil sie uns die Angst vor dem Totalversagen im Berufsleben nehmen. Wir würden nur noch lernen, was wichtig für ein friedliches Miteinander ist. Und die Professor*innen und Lehrer*innen würden auch aufhören irgendwelchen Quatsch zu unterrichten, den die Welt nicht braucht. Im Großen und Ganzen würde der Staat uns Menschen 5-15 Jahre kostbare Lebenszeit zur Verfügung stellen, die wir in Grundschulen, Oberschulen, Nachhilfeunterricht und in Universitäten unwiederbringlich versenken.

Foto: privat

Wenn wir für unsere Arbeit kein Geld bekommen, was können dann Motivationen sein Leistung zu bringen?

Van Bo: Wir müssen aufhören "Dienst"-Leistung zu erbringen und anfangen zu dienen. Den Schwachen, den Kleinen, den Alten, dem Nächsten. Dann gäbe es keine Kriege mehr.

Wie kann das Modell für alle anderen Menschen funktionieren, die nicht in kreativen Berufen tätig sind? Was glaubst Du, wie sich ihr Leben durch ein "bedingungsloses Grundeinkommen" verändern würde?

Van Bo: Hmm, es ist ja heute schon so, dass niemand in Deutschland oder der Schweiz Lohnarbeit erbringen muss. Ich habe meinen Cousins in Laos erzählt, dass jeder Mensch, der sich dem verweigert, in Deutschland Hartz IV oder Invalidenrente (Schweiz) anfordern kann und vom Staat getragen wird, zwar nicht bedingungslos, aber immerhin. Niemand muss obdachlos werden oder verhungern.

In Deutschland muss man nicht buckeln gehen. Meine Cousins meinten, was für ein Schlaraffenland, dann würde ja keiner mehr arbeiten gehen für Geld. Gerade mal 4-5 Millionen Menschen nehmen Hartz IV in Anspruch. Bei über 80 Millionen Einwohnern ist das noch nicht mal ein Fünftel. Auch wenn die gesellschaftliche Ächtung der "Arbeitssuchenden" durch die Mehrheitsbevölkerung weniger wäre, wären mit einer Verdopplung oder Verdreifachung der Hartz IV Bezieher*innen kein nationaler Notstand erkennbar. Menschen arbeiten gern. Ob für Geld oder ohne. Nur kranke Menschen ruhen sich gerne aus. Und denen sollte man das auch zugestehen. Nicht jeder kann ja so gesund sein wie wir beide (lacht).

Wie sieht Dein Arbeitstag heute aus? An welchem Projekt arbeitest Du derzeit?

Van Bo: Ich plane kleine Wohnhäuser auf Rädern mit einem guten Dutzend Studierenden aus der tinyhouse University.

Das ist eine informelle Forschungsgruppe, die Du im letzten Jahr mit Geflüchteten aus Syrien, Irak und Ägypten ins Leben gerufen hast?

Van Bo: Genau, wir wollen den bauhauscamp.us gründen auf einem ungenutzten Gelände im Berliner-Tiergarten. Ein Jahr lang gemeinsam forschen zur Frage: wie wollen wir lehren, lernen und bauen für eine gerechtere Welt? Das Café Grundeinkommen ist mit einer Blockchain-basierten Software genauso Teil des Campus wie Kiron University, eine aus einer NGO gegründete Uni für Geflüchtete.

Foto: privat

Wir sind gesellschaftlich in vielen Bereichen in Geldtransfer eingebunden, wie kann man an (manchen Stellen) ausbrechen?

Van Bo: Dinge tun, die die Logik des Systems erschüttern und völlig diametral und unerwartet alles Vorhersehbare zerstören.

Das klingt sehr illegal.

Van Bo: Nein, muss es gar nicht. Zum Beispiel habe ich bei meiner Bank kürzlich auf Guthabenzinsen verzichtet, weil ich Zinsen böse finde. Oder zahle gerne ein wenig mehr Steuern an das Finanzamt als nötig. Oder verschenke Geld an wildfremde Personen. Oder verbrenne von Zeit zu Zeit einen Geldschein oder gebe viel Trinkgeld an unfreundliche Kellner*innen. Oder erlasse Schulden. Oder kauf Dir Sachen auf dem Flohmarkt und lass sie liegen. Das klingt ein wenig verrückt, aber all diese Interventionen können wie kleine Bomben das System irritieren und letztendlich den Glauben an das Geld verringern.

Zurück zur UTOPIKON: Was wird das Thema Deines Workshops bei der Konferenz sein?

Van Bo: Ich habe mein Leben durch die Geburt meines Sohnes stark verändert. Deshalb nenne ich meinen Sohn den kleinen Professor. Ich habe 34 Erkenntnisse gesammelt, von denen ich sieben bei UTOPIKON mit der Crowd teile.

Und was ist mit den anderen Erkenntnissen?

Van Bo: Die kann man nachlesen in einem Buch, welches im November bei Ecowin erscheint. 

Und ist dieses Buch auch geldfrei zu lesen?

Van Bo (zwinkert): Ja klar, die ungekürzte Fassung kann man jetzt schon geldfrei lesen auf titanpad.com/derkleineprofessor

Vielen Dank für das Interview Van Bo!

Mehr über die Projekte von Van Bo Le-Mentzel:

UTOPIKON - Die Utopie-Ökonomie-Konferenz

Am 5. November 2016 lädt das Projekt- und Aktionsnetzwerk "living utopia" zur "UTOPIKON - Die Utopie-Ökonomie-Konferenz" im Forum Factory in Berlin ein. Anmelden könnt ihr euch noch bis zum 05. September. Mehr über die Veranstaltung, das Programm und den Klick zur Anmeldung beim Kongress findet ihr hier.

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